Interview

Zwei Legenden und ein Torsong

Legenden unter sich: Handballer Holger Glandorf und Musiker H. P. Baxxter (r.). Foto: Tim Riediger/Kontor Records

Holger Glandorf feierte am Montag seinen 37. Geburtstag. Im Sommer beendet er seine Karriere, aufgrund der Coronakrise möglicherweise ohne noch einmal zu spielen. Ein Platz in den Geschichtsbüchern ist ihm so oder so sicher. Wir sprachen mit ihm über all diese Themen. Außerdem ging es in dem großen Geburtstags-Interview um seinen Torsong von Scooter. Dessen Frontman H. P. Baxxter baten wir ebenfalls zum Gespräch.

Flensburg. Holger Glandorf ist einer der letzten noch aktiven Handball-Weltmeister von 2007. Er hat 170 Länderspiele für Deutschland bestritten und dabei 583 Tore erzielt. Der gebürtige Osnabrücker kam 2011 zur SG Flensburg-Handewitt. Mit den Norddeutschen gewann er zwei deutsche Meisterschaften (2018 und 2019) sowie 2014 die Champions League, 2015 den DHB-Pokal, 2012 den Europapokal der Pokalsieger und 2013 sowie 2019 den Supercup. Der Handball-Linkshänder, der mit der rechten Hand schreibt, ist Rekord-Feldtorschütze (2429 Treffer) der Bundesliga und liegt in der ewigen Torschützenliste auf Rang vier. Im Sommer 2020 beendete er seine Spielerkarriere. Als Mitarbeiter der Geschäftsstelle der SG Flensburg- Handewitt bleibt er dem Verein, für den er über 400 Pflichtspiele bestritten hat und somit auch dem Handballsport verbunden.
Am Montag, den 30. März, feiert Glandorf seinen 37. Geburtstag. Wir haben seinen Ehrentag zum Anlass genommen, um ein ausführliches Interview mit ihm zu machen. Dabei ging es um spezielle Tore, wie er in Flensburg zum Küstenkind wurde, Zahlen und Pokale sowie seine beinahe zwei Jahrzehnte andauernde Karriere auf höchstem Niveau. Aus Termingründen haben wir uns bereits Anfang März getroffen. Also einige Tage bevor die Coronakrise auch den Handball lahm gelegt hat. Inzwischen ruhen sämtliche Wettbewerbe und auch der Trainingsbetrieb bei der SG Flensburg-Handewitt. Niemand weiß wann und wie es weitergeht. Die Fragen und Antworten nach der sportlichen Situation haben sich somit überholt und wir haben sie daher rausgestrichen. Vielmehr drängten sich plötzlich andere Themen auf. Glandorf und seine Familie gehörten zu den ersten in Handewitt, die sich in häusliche Quarantäne begeben mussten. Diese haben die Glandorfs inzwischen gut überstanden. Dazu haben wir Holger Glandorf noch ein zweites Mal gesprochen - natürlich mit der nötigen Distanz, am Telefon. Es ging dabei auch um ein mögliches vorzeitiges Karriereende, welches plötzlich bittere Realität sein kann.

Flensborg Avis: Holger Glandorf, Rekord-Feldtorschütze der Handball-Bundesliga. Du hast 2429 Tore erzielt, dazu 583 im Nationalteam und noch etliche im Pokal und Europacup. Du kommst in deiner Karriere also weit über 3000 Treffer. Beeindruckt dich so eine Zahl?
Holger Glandorf: Zum einen ist es nur eine Zahl, aber es zeigt auch, dass ich wohl nicht so viel verkehrt gemacht habe. Ich habe sogar noch einige Zeit an Verletzungen verpasst (z. B. in der Saison 2014/15 als er sich die Achillessehne riss/Red.) und kaum Siebenmeter (23/Red.) geworfen, es hätten also noch mehr Tore werden können. Von daher macht es schon stolz in welchem Ranking und mit welchen anderen tollen Spielern man dort steht. Das ist die schönere Ehre für mich, als die vielen Tore an sich.

Gibt es ein besonderes Tor, das speziell in Erinnerung geblieben ist? Ein besonders schönes oder beispielsweise deine zwei Tore vor Kurzem, als du als Rechtsaußen aushelfen musstest?
Es waren drei Tore von außen. (Glandorf lacht)

Entschuldigung, drei natürlich. Wie steht es um dein erstes Bundesliga-Tor, kannst du dich daran erinnern?
Kein Problem. Mein erstes Bundesliga-Tor - daran kann ich mich kaum erinnern. Es ist aber auch schwer, weil es einfach so viele waren. Aber der Treffer im Champions-League-Halbfinale 2014 gegen Barcelona ist noch gut in Erinnerung. Es ist noch nicht lange her und war ein sehr wichtiges Tor (dank Glandorfs Treffer in letzter Sekunde ging es in die Verlängerung. Hier siegte die SG und holte am Ende den Titel/Red.).

Wenn du auf deine Karriere zurückblickst, was bleibt besonders in Erinnerung?
Sehr viel. Ich habe Anfangs viel Glück gehabt, da ich von Verletzungen von anderen Spielern profitiert habe. Scheinbar habe ich es nicht schlecht gemacht und durfte in Nordhorn viel spielen. Verletzungen gehören generell dazu und gerade für einen jungen Spieler ist die erste große Verletzung ein Einschnitt. Andererseits lernt man viel daraus und macht einen ein Stück weit demütig für das was man macht und erinnert einen daran, dass man sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Allein das ist eine super Sache, die man genießen sollte. Es sind auch viele Titel dazugekommen und auch das sind tolle Erlebnisse, denn dafür betreibt man seinen Sport. Wobei auch andere Ziele wie das Erreichen des Klassenerhalts toll sein kann.

Du hast mit Nordhorn, Lemgo und Flensburg nur drei Stationen in deiner Karriere gehabt. Es gab einst ein Angebot aus Barcelona und sicherlich noch andere ...
Genug.

Genug also. Aber du hast eine gewisse Konstanz oder Bodenständigkeit in deiner Karriere hingelegt. Hättest du rückblickend irgendetwas anders machen wollen?
Nein, ich glaube nicht. Wenn Nordhorn nicht insolvenz gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich immer noch dort. Dann hätte ich mich möglicherweise geärgert. Es hat mir viel gebracht, etwas anderes zu erleben. Die zweieinhalb Jahre in Lemgo haben allerdings auch gezeigt, dass wenn es nicht passt und ich mich nicht optimal wohl fühle, schlägt sich das auf meine Leistung nieder und ich nicht gut spielen kann. Im Nachhinein muss man sagen, dass es mit Lemgo einfach nicht passte. Ich war viel verletzt, kam mit dem Spielsystem des Trainers nicht klar und beide Seiten haben relativ schnell erkannt, dass es richtig war, sich zu trennen. Danach habe ich mein Glück in Flensburg und vor allem zu alter Stärke gefunden. Wenn die Familie sich wohl fühlt und ich auch, passt es und ich kann Leistung bringen.

Ihr fühlt euch so wohl, dass ihr nach deiner Spielerkarriere auch hier bleibt. Du wirst ab Sommer auf der Geschäftsstelle der SG beginnen. Kannst du schon ein bisschen mehr dazu erzählen?
Richtig, wir fühlen uns wohl und bleiben hier, das ist erstmal das Wichtigste. Wir sind hier richtige Küstenkinder geworden. Wir haben hier viele neue Freunde gewonnen, vermissen aber auch unsere Familie und Freunde aus Nordhorn und Osnabrück. Doch in Zukunft haben wir hoffentlich etwas mehr Zeit sie zu sehen.
Auf der Geschäftsstelle werden ich erstmal in alle Bereiche reinschnuppern, den Tagesablauf kennenlernen und dann werden wir besprechen, welche Rolle ich dort einnehmen werde.

Eine Trainerkarriere ist also eher nichts für dich - siehst du dich irgendwann in der Rolle des Geschäftsführers, sportlichen Leiters, Managers?
Ich sehe mich auf jeden Fall eher im Büro und nicht auf der Trainerbank. Was es nachher wird müssen wir schauen. Zunächst muss ich schauen, gefällt es mir und gefällt es der SG. Ich freue mich jedenfalls drauf und habe große Lust. Ich komme dort schließlich in ein neues Team. Alle sind sehr engagiert und mit viel Herzblut für den Verein dabei. Ich habe natürlich auch ein paar Vorstellungen, aber wir schauen mal, es wird schon passen.

Du wirst 37 Jahre alt - wieder nur eine Zahl, hast du Angst vorm Alter oder ist das kein Alter?
Ich gehe stramm auf die 40 zu.(lacht) Aber so ist es, eine Karriere ist endlich und ich denke es ist der richtige Zeitpunkt, immerhin hatte ich über ein Jahr Zeit, mich damit zu befassen. Ich hatte gar nicht gedacht das ich so lange spiele, mein Ziel war irgendwie immer mit 35 aufzuhören, jetzt ist es mit 37 und das ist in Ordnung. Ich merke es körperlich und bin mit mir auch im Reinen damit.

Im vergangenen Sommer hast du dich an der Schulter operieren lassen. Die Rückkehr war schwierig und hat lange gedauert. Länger als geplant und damit war die gesamte Hinrunde schwierig für dich. Gab es einen Zeitpunkt an dem du gedacht hast, jetzt ist schon Schluss?
Eine Verletzung lässt sich nie planen. Ich bin zwar immer gut durchgekommen und diese Verletzung war einfach meiner langen Karriere geschuldet. Nach 18 Jahren Bundesliga gibt einem der Körper einfach gewisse Zeichen, aber einen Zeitpunkt an dem ich aufgeben wollte hatte ich nie. Viele Verletzungen haben mich auch viel gelehrt und frühzeitig aufzugeben wäre nicht mein Ding gewesen.

Auch im Handball hat sich die Situation aufgrund der Coronakrise inzwischen derart zugespitzt, dass dennoch ein vorzeitiges Karriereende droht. Es weiß schließlich noch niemand, ob die zunächst bis zum 22. April unterbrochene Saison überhaupt wieder aufgenommen wird. Hast du schon einen Gedanken verschwendet?
So richtig habe ich mich damit noch nicht beschäftigt, aber natürlich schon mal daran gedacht. Hoffnung, dass noch einmal gespielt wird habe ich, aber mein Menschenverstand sagt mir, dass es wohl nicht so kommen wird. Wenn führende Virologen davon sprechen, dass noch lange Zeit nicht an Großveranstaltungen zu denken ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir wieder spielen werden, zumal ich nicht glaube, dass es vor leeren Rängen passieren würde. Ich werde mich also möglicherweise damit abfinden müssen, dass meine Karriere so endet. Dann hätte ich in Berlin (8.März/Red.) mein letztes Spiel bestritten. Aber das macht nichts, denn viel wichtiger ist, dass alle Menschen wieder gesund werden bzw. es bleiben. Auch meiner Familie wünsche ich natürlich Gesundheit und im Fall der Fälle werden wir sehen, ob ich mich vom Handball an anderer Stelle nochmal verabschieden kann, aber das ist zur Zeit zweitrangig.

Am Mittwoch, den 11. März, bist du selber in häusliche Quarantäne geschickt worden, wie kam es genau dazu?
Einer meiner Söhne hatte Kontakt zu einer Person, die positiv auf das Coronavirus getestet worden war und plötzlich ging alles ganz schnell. Ich war im Auto unterwegs, als meine Frau anrief und sagte, wir müssen in Quarantäne. Ich habe dann sofort mit Maik (Machulla, SG-Trainer/Red.), Dierk (Schmäschke SG-Geschäftsführer) und unseren Teamarzt (Dr. Torsten Ahnsel/Red.) gesprochen. Es herrschte keine Panik, aber die Frage war natürlich: was machen wir jetzt. Die Dinge haben sich dann sehr schnell von alleine gelöst, weil die Liga und auch wir kurz darauf den Spiel- und Trainingsbetrieb eingestellt haben. Mittlerweile ist in Handewitt eine große Gruppe von über 1000 Personen in Quarantäne gekommen, aber wir gehörten sicherlich zu den allerersten.

Die Quarantäne ist seit Donnerstag für deine Familie und dich beendet, wie ist es in der Zeit allen ergangen, wie sah der Tagesablauf aus?
Wir sind da zum Glück alle gut durchgekommen und sind fit. Das teilweise schöne Wetter hat uns sehr geholfen, da wir doch viel in den Garten gehen konnten. Zum Glück hatten wir nicht das typische Norddeutsche Wetter, so haben wir die Tage eigentlich gut rumbekommen. Ich selber hatte ein spezielles Trainingsprogramm von unserem Athletikcoach Michael Döring, auch mit Hinblick auf meine Schulterproblematik. Ansonsten habe ich viel im Garten geschafft, der ist auch große genug das die Kinder dort spielen konnten. Wir haben zwei Tore darin stehen, so dass wir auch Handball spielen konnten. Außerdem haben die Kids ihren Unterricht zu Hause gemacht und da hieß es Hausaufgaben kontrollieren. Es war dennoch schön, als es am Donnerstag vorbei war und man das Grundstück mal wieder verlassen durfte. An der Situation hat sich nicht viel geändert, aber für den Kopf ist es schön zu wissen, dass man selber mal schnell den nötigsten Einkauf erledigen kann und ich auch mal eine Runde Joggen darf.


Interview mit H. P. Baxxter

Flensborg Avis: H.P. Baxxter - der Song "Maria (I like it loud)" wird als Torsong in der Fußball-Bundesliga bei Borussia Mönchengladbach ebenso abgespielt, wie beim Handball, wenn der Flensburger Holger Glandorf ein Tor wirft. Warum eignet sich das Lied besonders als Torsong?
H.P. Baxxter: Gute Frage, wenn man das immer wüsste, würde man nur Songs veröffentlichen mit so einem starken Hit-Refrain. Väterchen Zufall spielt hier sicherlich auch eine Rolle.

Der Song war seinerzeit wohl kaum als Torsong für ein Fußballstadion oder eine Handballhalle gedacht - welche Geschichte steckte von Ihrer Seite dahinter?
Puh, die Geschichte zu dem Song ist sehr lang und eher komplex und würde hier den Rahmen sprengen. Wir drehen gerade unserer große Scooter Dokumentation, dafür wäre das Thema wie zu dem Song gekommen ist sicherlich eine Episode wert, danke Ihnen für die Idee.

Haben Sie mal daran gedacht, eine spezielle Stadionhymne zu einem Großevent wie einer Fußball-EM zu produzieren. Oder vielleicht doch Handball, 2024 findet die EM in Deutschland statt.
Nein, es ist eher in der Natur von Scooter zumeist hymnenartige Titel zu kreieren oder zu produzieren.

Holger Glandorf ist Rekord-Feldtorschütze der Bundesliga. Er hat über 2400 Tore erzielt, entsprechend oft ist Ihr Song bereits zu hören gewesen, was sagen Sie zu so einer Zahl?
Ja Wahnsinn, ich bin zwar nicht der größte Handball-Crack und eher nur bei der EM und WM vor dem Fernseher zu finden, doch diese gewaltige Zahl ist auf jeden Fall beeindruckend. Ob ihn der Torsong zu der enormen Leistung weiter motiviert hat, kann ich natürlich nicht beurteilen.

Gibt es eigene Handball-Erfahrungen, aus Schul-/Jugendzeiten bzw. welches war/ist Ihre Sportart/Ihr Verein?
Außer Schulhandball nicht wirklich, ich trainiere mehrmals wöchentlich mit einem Personal Trainer, um weiterhin fit für die Bühne zu sein. Ich bin eher der Einzel- statt der Mannschaftssport-Typ.


Ruwen Möller