Geschichte
»Den THW Kiel haben wir weggeputzt wie wir wollten«
»Meine ersten sportlichen Aktivitäten fanden allerdings auf dem Schulhof und der Straße statt, so wie es alle Kinder damals erlebt haben«, berichtet Schneller von einer Zeit, wie sie sich die heutige von Bewegungsarmut und Digitalisierungs-Wahnsinn geprägte Generation wohl kaum noch vorstellen kann. Sein allererster Verein in Flensburg war übrigens nicht der FTB, sondern DGF Flensborg, ebenfalls schräg gegenüber der Gustav-Schule, in Richtung Marienhölzung. Beim Club der dänischen Minderheit blieb Schneller allerdings nur ein Jahr.
»Durch meinen Freundeskreis bin ich beim FTB gelandet. Und dass es Handball wurde, hatte auch mit meinem Cousin Uwe Rasmussen zu tun. Der war damals für die Sportfreunde Flensburg aktiv und bestritt sogar ein Länderspiel.«
Noch mehr Einfluss hatte allerdings ein Nachbar der Schnellers. Bernd Kuchenbecker wohnte quasi eine Tür weiter und der deutsche Nationalspieler beeinflusste den jungen Schneller maßgeblich. Der Sportlehrer am Goethe-Gymnasium setzte den »ersten Meilenstein«, wie Schneller sagt, in dessen Handball-Karriere. Zunächst spielte Schneller auch Fußball beim inzwischen nicht mehr existentem VfB Nordmark und er war ebenfalls als Leichtathlet aktiv. Als 1956 allerdings die erste Einladung zur Junioren-Nationalmannschaft kam, fiel die Wahl endgültig und ausschließlich auf Handball.
Die ersten Erfolge hatten sich bereits in den Jahren kurz davor eingestellt. Zwei Jahre in Folge gewann Schneller mit dem FTB die A-Jugend Hallen-Meisterschaft in Schleswig-Holstein.
»Den THW Kiel haben wir weggeputzt wie wir wollten«, erinnert er sich und muss schmunzeln. Als Flensburger weiß er natürlich um die stetige und immernoch andauernde Rivalität zum Verein aus der Landeshauptstadt. Schneller muss allerdings gestehen: »Im Seniorenbereich war der THW in der Halle immer besser, allein schon wegen der Vorteile durch die Ostseehalle.
Bevor es für ihn jedoch in die Herren-Mannschaft des FTB ging, feierte er 1956 den Gewinn des deutschen Länderpokals der Junioren. Zwar im Feldhandball, aber geschenkt. Zum einen weil die inzwischen ausgestorbene Variante des Handballs auf dem Feld damals noch extrem beliebt, und zum anderen, weil es sein persönlicher Durchbruch war. Für die deutsche B-Nationalmannschaft lief er sieben Mal auf.
Wir sind Weltmeister auf Lebenszeit geworden«
Volker Schneller (hinten, 2. v. l.) im Kreise der FTB-Mannschaft, die 1958/59 die SH-Meisterschaft holte. Privatfoto
Vier Jahre spielte Schneller fortan bei den FTB-Herren, sowohl auf dem Feld als auch in der Halle in der Oberliga, der damals höchsten nationalen Spielklasse.
Am 4. Oktober 1959 gastierte er mit Flensburg in Ansbach. In der Vorrunde um die deutsche Meisterschaft (Feld) war der ortsansässige TSV 1860 der Gegner. Und ein zu starker Gegner. Mit 11:7 gewann Ansbach und zog in die Zwischenrunde ein. So wie damals noch üblich, kamen die Konkurrenten am Abend nach dem Spiel zu einem gemeinsamen Beisammensein zusammen. Schneller freundete sich mit Erwin Porzner vom TSV an. Der frischgebackene Weltmeister von 1959 beeindruckte Schneller ebenso wie die gesamte Atmosphäre in Ansbach. Ein halbes Jahr später wechselte das Nordlicht ins Mittelfränkische, wo er seine zweite Heimat fand.
»Ich hatte kein Problem mit Flensburg, ganz im Gegenteil«, so Schneller. »Ich wollte einfach etwas anderes sehen und erleben, auch im Handball. Bei uns kamen 300 Zuschauer zu einem Feldhandballspiel, dort waren es 3000 und bis zu 30.000 bei deutschen Meisterschaften, das war einfach eine andere Dimension und am Ende hat es sich so ergeben.«
Bis heute hat er diesen Schritt nie bereut. Weshalb auch. In Bayern lernte er seine Frau Hannelore, mit der er seit 1965 verheiratet ist, kennen. Hier fand der gelernte Offset-Drucker (Ausbildung bei der Firma Christian Wolff, die damals in der Angelburger Straße beheimatet war) seinen Platz in der Arbeitswelt bei »adidas« und sportlichen Erfolg.
Nur ein halbes Jahr nach seinem Wechsel in den Süden wurde er im Herbst 1960 erstmals Feldhandball-Meister mit Ansbach. 1962 folgte die zweite deutsche Meisterschaft. Und er reifte zum Nationalspieler. Neun Mal lief er für Deutschland in der Halle auf, im Feld wurden es sogar 20 Einsätze. Dabei erlebte er eine historische Niederlage. Im WM-Endspiel 1963 unterlag Deutschland der DDR mit 14:7. Es war die einzige Niederlage einer deutschen Mannschaft bei einer Feldhandball-WM überhaupt. WM-Gold errang Schneller drei Jahre später mit dem BRD-Team. An der Seite seines Trauzeugen Porzner wurde es wieder historisch. Im letzten Spiel hieß es 15:15-Remis gegen die DDR und nur aufgrund der besseren Torbilanz hatte Deutschland die Nase vorne und sicherte sich den letzten jemals ausgetragenen WM-Titel im Feldhandball.
»Wir sind Weltmeister auf Lebenszeit geworden«, so Schneller stolz. Wie das gesamte Team, erhielt auch er das Silberne Lorbeerblatt, die höchste sportliche Auszeichnung der Bundesregierung, für diesen Triumph.
Bemerkenswert findet er, dass sich die beiden deutschen Mannschaften seit dem Mauerfall jedes Jahr einmal treffen. Er selber konnte nur drei Mal bei diesem sportlichen Klassentreffen dabei sein, die weitere Karriere und der Beruf ließen nicht mehr zu.
»Vom Herzen stehe ich Flensburg viel näher als Erlangen«
Doch es ist genau jener Zusammenhalt, auch unter Kontrahenten, jenes Gemeinschaftsgefüge, welches er in Ansbach kennen und schätzen lernte, das ihm im heutigen Sport zu Teilen fehlt. Ich weiß natürlich, dass das mit der Professionalisierung des Sports zu tun hat«, so Schneller. »Ich finde das auch gar nicht schlecht, eher schön, dass sich der Handball weiterentwickelt und nicht stehen geblieben ist.« Nur mit einer Sache kann er wenig anfangen: der Schnellen Mitte.
»Diese taktische Variante des Angriffs widerspricht meiner Einstellung zur Abwehrarbeit. Wer sich in der Abwehr bereits darauf konzentriert, bei einem Gegentor nach vorne zu sprinten, der kann seine Abwehrarbeit nicht vernünftig ausführen«, kritisiert der ehemalige Trainer.
Seine Laufbahn an der Seitenlinie begann er in der Ansbacher Jugend, mit der er Bayerischer Meister wurde. Es ging rasant weiter und so folgten 1969 und 1970 zwei Deutsche Meisterschaften mit den Frauen des 1. FC Nürnberg. Anfang der 70er war er auch Trainer der Frauen-Nationalmannschaft.
Als Trainer der Männer führte er den TuSpo Nürnberg zwischen 1974 und 1981 von der Bedeutungslosigkeit auf die ganz große Bühne. Von der Bezirks- ging es in die Bundesliga. Nach einem Abstieg gelang 1983 der erneute Aufstieg ins Oberhaus. Ein Jahr später endete das Engagement.
In all diesen Jahren war er für »adidas« tätig und seine beiden Söhne Frank und Lars wurden geboren.
Als Abteilungsleiter Promotion Inland ist Schneller für sämtliche Sportler die in »adidas« auflaufen tätig und bei großen Sportereignissen wie den Olympischen Spielen dabei. Auch die SG Flensburg-Handewitt spielte einst mit den berühmten drei Streifen auf dem Trikot und Schneller erinnert sich, wie intensiv sich die Norddeutschen damals um den Kontakt mit ihm bemühten.
Nach 16 Jahren in Herzogenaurach und im Kreise der Dassler-Familie, zieht es Volker Schneller 1984 nach Leverkusen. Beim Bayer-Konzern wird er Hauptgeschäftsführer der Personalabteilung und Trainer der Handball-Damen. 1985 und 1987 gewinnt er mit Bayer das Double aus Meisterschaft und DHB-Pokal, dazu 1986 einen dritten Meistertitel. Schneller ist jetzt siebenfacher Deutscher Meister.
Im Jahr 1989 bekommt Schneller gesundheitliche Probleme. Das so genannte Zoster-Virus, eine Folge von Windpocken, fesselt ihn für einige Monate an den Rollstuhl. Es folgten weitere Monate in der Reha und die Rückkehr nach Franken. Hier wird er auch wieder Handball-Trainer und coacht den HC Erlangen. Anfang 2004 wird er dort entlassen. Wie es damals abgelaufen ist und welche Entwicklung Erlangen seither nimmt, schmeckt ihm bis heute nicht. Schneller sagt: »Ich habe den Handball in Erlangen wachgeküsst«, ein Spiel hat er seitdem allerdings live nicht mehr gesehen. Dennoch weiß er, dass Erlangen eine »richtige Handball-Stadt« ist. Flensburg jedoch auch und für ihn noch viel mehr: »Vom Herzen stehe ich Flensburg viel näher als Erlangen.«
Der Blick in die Zukunft
Volker Schneller holte 1960 seine erste Deutsche Meisterschaft. In Oberhausen gewann er mit Ansbach gegen Lintfort. Privatfoto
Daher freute es ihn auch ganz besonders, dass von 2012 bis 2014 ein gewisser Steffen Weinhold bei der SG aktiv war. »Aus der Not heraus, weil wir keinen Linkshänder hatten, habe ich Steffen seinerzeit als Jugendlichen in den Kader der 2. Liga genommen«, erinnert sich Schneller an den jungen Weinhold, der damals schon ein »guter Typ« war. »Seinen Wechsel (2007) nach Nordhorn habe ich zwar nicht verstanden, er ist dort in seiner Entwicklung etwas stehen geblieben, aber er hat ja trotzdem eine tolle Karriere hingelegt«, so Schneller, der damals schon zu befreundeten Trainern wie Heiner Brand und »Noka« Serdarusic gesagt hat: »Steffen ist ein Mittelmann.«
Davon ist Schneller, genau wie Weinhold Linkshänder, immernoch überzeugt. »Leider hat er das nie über einen längeren Zeitraum zeigen können. Vielleicht wollte er auch lieber auf halb spielen, aber wegen seiner körperlichen Konstitution ist er keiner, der primär über die Deckung wirft. Er ist jedoch technisch stark und spielintelligent, bricht zudem auch gegen die Hand durch, ich wünsche ihm, dass er vielleicht doch noch auf der Mitte spielen kann.«
Mit dem Thema Weinhold hat sich für Schneller irgendwie der Flensburger Kreis geschlossen. Den Handball im hohen Norden hat er seit jeher weiterverfolgt und ist beeindruckt, was für eine »Hochburg« dort aufgebaut wurde. »Flensburg liegt am Rande Deutschlands. Für die Gegner waren die langen Fahrten dorthin zwar immer mühsam, aber schon zu meiner Zeit war es im Vergleich mit anderen Regionen wirtschaftlich immer schwierig. Sie haben es trotzdem zu etwas gebracht und zwar, weil sie mit sportlichem Erfolg überzeugen mussten. Und das haben sie getan«, so Schneller, für den Namen wie Sönke Voß und Manfred Werner »großen Anteil« am heutigen Erfolg haben. »Sie haben das bewegt, was den Handball heute in Flensburg ausmacht.«
Doch neben seinem einstigen Nachbarn, Bernd Kuchenbecker, möchte Schneller auch Namen wie Asse Asmussen, Max Harder, »Helle« Petersen, »Jimmy« Hofeditz, Martin Duhnke und Harald Mikolayczak nicht vergessen.
Nach dem Blick zurück, schaut Schneller abschließend in die Zukunft. Mit etwas Sorgen um seinen geliebten Handball. Persönlich haben er und die Familie die Coronakrise bisher gut überstanden, »Glück gehabt«, wie er sagt. Doch was den Handball angeht, befürchtet er, dass »wir in einem halben oder in einem Jahr noch keine vollen Hallen erleben.«
Der Artikel erschien zuerst am 24. September 2020 in der Sonderbeilage »Handball im Norden« von Flensborg Avis.