»Wenn du keine Angst hast zu verlieren, gewinnst du am Ende alles«
Handball
Robert Habeck (l.) ist großer SG-Fan. Sky-Reporter Dennis Baier sprach ihn am 3. Juni vor dem großen Meisterschafts-Finale. Foto: Sascha Klahn
Flensborg Avis: Herr Habeck, erinnern Sie sich an den 3. Juni 2018, als sich die SG mit einem 22:21-Sieg gegen FA Göppingen die zweite Meisterschaft der Vereinsgeschichte sicherte? Wo waren Sie gegen 16.35 Uhr und was haben Sie in dem Moment gemacht?
Robert Habeck: Ich stand auf der Nordtribüne in der Flens-Arena und um 16.33 Uhr habe ich langsam daran geglaubt, dass die SG gewinnt. Das Spiel war ein elender Krampf und alle schienen alles vergessen zu haben, was sie jemals über Handball wussten. Selbst Kämpfer wie Thomas Mogensen und Rasmus Lauge waren nur noch im Tunnel. Eine Minute vor Ende wusste man aber, dass sie es nicht mehr hergeben, und dann habe ich gedacht: scheiß egal, Hauptsache Meister. Danach haben alle gejubelt, ich natürlich auch.
Was verlief besser in den letzten Monaten, die Entwicklung der SG Flensburg-Handewitt oder Ihre politische Karriere?
(Habeck lacht) Die SG ist Meister geworden, und ich habe den Ministerposten aufgegeben (Red.: am 31. August scheidet Habeck offiziell als Minister aus dem Kabinett in Schleswig-Holstein aus). Die SG hat das also schon gut gemacht.
Darf bzw. kann man sich als Politiker öffentlich zu seiner Lieblingsmannschaft, seinem Lieblingsverein bekennen?
Die Meisterschaft wurde beim Spiel in Kiel entschieden und ich war zufällig in der Halle (Red.: anderthalb Wochen nach dem krachenden Aus in der Champions League in Montpellier war der 29:25-Auswärtssieg der SG in Kiel am viertletzten Spieltag in der Rückschau der Wendepunkt im Titelrennen). Der TV-Sender Sky hatte mich als Halbzeitgast eingeladen, und ich sollte über die Handball-Faszination im hohen Norden sprechen. Das Spiel habe ich in einer Loge mit THW-Sponsoren gesehen. Und es war ein geiles Spiel. Anfangs habe ich bei jedem SG-Tor laut gejubelt. Später dann etwas verhaltener, weil ich Angst hatte, dass Thorsten Storm (Red.: Manager THW) mich rausschmeißt (Habeck muss lachen). Die SG-Jungs haben im Gegensatz zum letzten Spiel, als sie einen Knoten im Kopf hatten, wie entfesselt gespielt. Man hatte das Gefühl, sie spielen nicht für etwas Größeres wie die Meisterschaft, sondern nur für den Sieg. Dass es noch zum Titel reicht, schien damals außerhalb jeder Vorstellungskraft und genau deshalb haben sie es am Ende doch geschafft. Das ist sehr lehrreich, auch für Politik. Wenn du keine Angst hast zu verlieren, gewinnst du am Ende alles.
Ist es das, was Politiker von Sportlern lernen können, und was können sich umgekehrt Sportler von Politikern abschauen, gibt es da auch etwas?
Man nimmt immer gerne Sportmetaphern in der Politik. Es heißt beispielsweise immer: Man gewinnt zusammen, man verliert zusammen. Soll heißen: wir stehen auch in der Niederlage zusammen. Als normativer Satz ist das jedoch falsch. Man gewinnt zusammen, aber verliert alleine. Nicht weil danach jeder auf dem anderen rumhackt, sondern weil man verliert, wenn nicht jeder für die Mannschaft einsteht. Wenn man nicht zusammensteht und nicht versucht, die Fehler des anderen auszubügeln, sie auch nicht verzeiht und sich nicht wieder reinhängt, hat man keine Chance zu bestehen. Und das gilt auch für Gesellschaft und Politik. Deshalb müsste der Spruch richtigerweise lauten: Wenn wir es nicht hinkriegen die Dinge gemeinsam zu regeln, sondern in Gruppen und lauter Egos zerfallen, dann verlieren wir am Ende. Das kann man vom Mannschaftssport lernen.
Zurück zur eigentlichen Frage: Darf man als Politiker öffentlich zu seinem Lieblingsteam Farbe bekennen? In Kiel im Landtag war es für Sie sicherlich schwieriger, SG-Fan zu sein als in Berlin im Bundestag, wobei dort mit den Füchsen auch ein Konkurrent zu Hause ist.
Bei den Auswärtsspielen bin ich nicht oft, aber ich finde schon, dass man als Politiker seine Zugehörigkeit zeigen darf. Ich muss ja nicht alle Fangesänge mitmachen und sollte das sicherlich auch nicht tun. Doch warum nicht zu einem Verein stehen, andere sind Bayern- oder HSV-Fans. Es ist Sport. Sport hat eine gewisse Leidenschaft, aber ich glaube als SG-Fan ja nicht, dass Flensburger bessere Menschen sind, da muss man die Kirche im Dorf lassen.
Ich habe allerdings einen Tipp an all meine Kollegen: man sollte in der Halle keine Halbzeitansagen machen oder Prognosen vor einem Spiel zum Ausgang der Partie abgeben. Niemand will das hören. Man sollte gar nicht erwähnen, dass man vor Ort ist, es gibt doch nur Buh-Rufe. All das bekommt man hautnah mit, wenn man nicht in der Loge sitzt, sondern auf der Stehtribüne einen Platz findet. Lieber einfach nur hingehen und sich bei den Anhängern einreihen, alles andere ist schräg.
Sehr oft hört man den Satz: Sport und Politik gehören nicht zusammen. Wie sehen Sie das, gerade vor dem Hintergrund der Debatte um Mesut Özil? Unabhängig von dem Thema, ist es nicht eher so, dass es bei Sport und Politik Schnittmengen gibt, die man eben nicht voneinander trennen kann?
So ist es. Und das muss man auch nicht abstreiten, weil der Vergleich sowieso gezogen wird. Wenn Frankreich Fußball-Weltmeister wird und die Mannschaft aus verschiedenen Ethnien zusammengesetzt ist, dann gilt das als Beispiel für gelungene Integration. Das Gleiche gilt für Belgien und wenn Deutschland schlecht spielt, bekommen wir eine Debatte, ob nicht gerade die Leidenschaft für Deutschland fehlt. Özil wird das vorgeworfen, nachdem er knapp 100 Länderspiele für Deutschland und 2014 das Team mit zum Weltmeister gemacht hat. Sportler sind keine Politiker. Das soll man von ihnen auch nicht verlangen, denn es sind verschiedene Berufe – Politik ist ein Beruf – aber dass Sport auch immer politisch interpretiert, genutzt, gedeutet wird, ist unstrittig. Das merkt man, wenn sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Spielern in der Kabine feiern lässt oder wenn der Innenminister (Red.: Horst Seehofer), der auch für den Sport zuständig ist, sagt: »der Islam gehört nicht zu Deutschland« und zwei Monate später tritt ein Spieler (Red.: der Muslim Özil) mit der Begründung, er werde rassistisch diskriminiert, zurück. Da gibt es ganz klar Zusammenhänge. Sport ist eine politische Interpretationsfolie – man kann das mögen oder doof finden, es ist einfach so.
Ich finde es falsch, oberflächliche Zusammenhänge, wie: ist das Scheitern von Joachim Löw ein Scheitern von Angela Merkel, herzustellen. Das ist albern und es sind kleinliche Vergleiche. Aber Sport ist in mehrfacher Hinsicht politisch. Sport ist einer der letzten Orte, wo Menschen unterschiedlichster Bildung, Einkommensgrades, Herkunft, Religion und Hautfarbe usw. gleich sind. Wenn man das Trikot überzieht – und das kann auch im Dorfverein sein – macht es keinen Unterschied, wer man sonst ist. Diese Gleichheit haben wir an kaum oder vielleicht keinem anderen Ort der Gesellschaft. Die Kinder werden nach der vierten Klasse getrennt und dann zerfällt alles in Grüppchen. Nur im Sport nicht. Egal, wie viel du verdienst oder wohin du in den Urlaub fährst, wenn du getunnelt wirst, siehst du immer schlecht aus. Und diese Bedeutung von Sport, also Sport als gesellschaftlicher Raum, könnte gerne weiter nach vorne gestellt werden, das wäre integrativ. Wenn man das wirklich will, kann man Sport nicht nur mit dem Leistungsförderungs-Gedanken betreiben sondern intensiv in Vereinssport investieren.
Zurück zum Handball. Wieso ist es Handball geworden und warum schlägt Ihr Herz für die SG? Haben Sie selber auch gespielt?
Handball habe ich immer schon verfolgt, aber selber habe ich Fußball gespielt. Da ich aus Kiel komme, wäre es in Sachen Handball wohl eigentlich der THW geworden. Meine Eltern haben dort immer noch eine Dauerkarte. Aber durch meine Jungs (Red.: Habeck hat vier Söhne) und die Region um Flensburg (Red.: Habeck lebt seit 2002 in bzw. um Flensburg) bin ich bei der SG gelandet. Meine Söhne haben zwar teilweise auch Fußball gespielt, aber irgendwann dann alle Handball bei der SG. Die Nähe zur SG entstand auch durch die Identität, die ich zur Region aufgebaut habe. Dadurch hat sich ein echtes Fansein entwickelt.
Flensburg ist eine Region, in der Deutsche und Dänen bestens miteinander auskommen. Auf beiden Seiten der Grenzen gibt es Minderheiten (die dänische in Deutschland und umgekehrt). Gerade die dänischen SG-Spieler fühlen sich auch deshalb hier wohl. Warum ist das so, warum geht es hier zusammen?
Das ist erarbeitet worden. Ich erinnere mich an die Zeit, als wir in Großenwiehe gewohnt haben. Ich habe in meinem Garten hinter der Hecke gestanden und eine dänische Flagge gehisst. In der Grenzregion wollte ich eine dänische Flagge haben, letztlich um jeden Morgen das Gefühl von Urlaub zu spüren. Es war ein Spaß. Es fuhren dann Leute mit dem Rad vorbei, sie konnten mich nicht sehen, aber ich sie hören. Sie sagten, guck mal die Neuen, das sind Dänen, wie ätzend. Ich dachte, wieso ist das ätzend? Das heutige Selbstverständnis, was ich auch registriere, diese Leichtigkeit und dieser Stolz, in der Zweisprachigkeit und einer Zwei-Kulturen-Region zu leben, dass es etwas Besonderes und Tolles ist, war damals noch überwölbt von einem Deutsch- und Dänentum sowie altem Denken. Eine neue Generation, die leichter damit umgeht, hat erarbeitet, dass es heute keinen verkrampften Nationalismus mehr in den Köpfen gibt. Man freut sich vielmehr, Dinge gemeinsam zu machen. Es ist fast poetisch, dass man hier alles übersetzen muss. Und wenn man das tut, kann immer alles anders gesagt und gedacht werden. Das ist eine sehr tolerante Welt- und Geisteshaltung. Und so erlebe ich die Region und die Stadt.
Dass die Dänen sich hier so wohlfühlen, liegt hoffentlich an dieser Atmosphäre und sicherlich auch an der dänischen Infrastruktur mit dänischen Kindergärten, Schulen usw. Das findet man eben nicht in Mannheim.
Nachdem mit Anders Eggert und Thomas Mogensen dänische Akteure in ihre Heimat zurückgewechselt sind, ist jetzt mit Jacob Heinl auch ein deutscher SG-Spieler nach Dänemark gegangen. Sie selber sind zum Studium dort gewesen, was macht das nördliche Nachbarland so attraktiv und spannend?
Ich habe eine sehr freundliche Vorstellung von Dänemark. Dass Wir und die Gemeinschaft hochzuhalten als Idee von Gesellschaft fand ich immer ansprechend und bezaubernd. Ich weiß aber ehrlich gesagt nicht, ob meine Vorstellung noch zum heutigen Dänemark passt. Es hat sich viel politisch und gesellschaftlich verändert und verschoben. Wenn ich dänische Nachrichten schaue, bin ich manchmal erstaunt und entsetzt, wie die Spaltung und Rechtsverschiebung um sich gegriffen hat. Aber meine Vorstellung von Dänemark ist eigentlich Freundlichkeit verbunden mit Naturstolz und wie man sich mit seinem Land verbindet. So erlebe ich es, aber ich weiß nicht, ob das nur noch eine eingebildete Vorstellung ist. Ich möchte jedoch glauben, dass es nicht so ist. Licht und hell, sommerlich und lachen aus offenem Fenster, das verbinde ich mit Dänemark.
Im Januar werden Deutschland und Dänemark gemeinsam die WM 2019 ausrichten. Haben Sie schon Karten und wo würden Sie lieber ein Spiel schauen, Berlin oder Kopenhagen?
Gibt es keine Spiele in Flensburg? Ich muss da noch mal mit Frau Merkel sprechen, warum es keine in Flensburg gibt (Habeck grinst). In Kopenhagen, in Berlin bin ich ständig.
Stefan Kretzschmar hat nach den Aufnahmen zur Fernsehsendung »Reinhold Beckmann trifft …« (die Folge mit Kretzschmar und Habeck lief am 30. Juli im NDR) getwittert: »Tadelloser Typ, dieser Robert Habeck«. Wie war die gemeinsame Sendung, was für ein Typ ist der einstige Handball-Punk?
Ein total super Typ. Er hat allerdings keinen Hehl daraus gemacht, dass er kein SG-Fan ist. Aber nach dem dritten Bier hat er für ein Foto doch die Meisterschale in die Hand und den Schal um den Hals genommen. Wir hatten einen guten Abend zusammen. Er hat die direkte Sprache voll drauf, ist gleichzeitig aber ein extrem schlauer und analytischer Typ, der einen scharfen Blick auf die Wirklichkeit hat. Wenn er sagt »tadelloser Typ«, bin ich begeistert und beeindruckt, wie er das Punkige, das er immer noch hat, kombiniert und »to the point« ohne Umschweife kluge Dinge sagt. Ein guter Mann, so wie seine Sport-Kommentare. Der beste Experte im Handball.
Was machen Sie am letzten Spieltag dieser Saison, sprich: was geht für die SG in der neuen Spielzeit?
Da auf Grund der vielen Abgänge niemand, auch die Mannschaft vielleicht selber, nicht glaubt, dass die SG erneut Meister werden kann, könnte es sein, dass sie mit einer großen Leichtigkeit in die Saison geht. So wie Dänemark 1992 Fußball-Europameister wurde. Wenn dich niemand auf dem Zettel hat, geht es oft leichter. Ich denke daher, dass die SG wieder oben mitspielt. Zur erneuten Meisterschaft gehört natürlich auch das nötige Glück und es muss alles passen. Am Ende sind es vielleicht drei Pfostenwürfe die entscheiden. Der letzte Spieltag ist aber immer etwas Besonderes und wenn ich es irgendwie einrichten kann, wäre ich gerne dabei, um auch zu erleben, wie sich die Stadt und Mannschaft feiern. Es wäre schön, wenn man der SG die Ehre geben kann, egal was dabei rauskommt.
Wir haben mit einem Datum begonnen und wollen mit einem abschließen. Was machen Sie an einem der Sonntage zwischen dem 29. August und 24. Oktober 2021?
Da findet die nächste Bundestagswahl statt, wenn sich nicht CDU, CSU und SPD vorher zerlegen, was durchaus noch passieren kann. Wenn das allerdings nicht der Fall ist, bin ich in Berlin und werde gegen 16.35 Uhr durch die Hochrechnungen ungefähr wissen, welche Ergebnisse die Parteien bekommen. Ich werde dann wissen, ob meine politische Karriere zu Ende ist, weil Die Grünen ein elendes Ergebnis gemacht haben oder ob es erst richtig losgeht, weil ich Die Grünen in die Regierung geführt habe. Das ist Himmel oder Hölle. Es ist wenig Grau dazwischen, ent oder weder. Es ist ziemlich cool zu wissen, dass es alles oder nichts ist, es gibt mir eine große Freiheit nicht auf Sicherheit zu spielen. Um im Sportjargon zu bleiben: Ich gehe unbeschwert in das »Turnier«, habe aber auch Bock, das Ding zu gewinnen.
Ruwen Möller
Der Text stammt aus unserer Sonderbeilage »Handball im Norden«, die beim Spiel gegen Göppingen verteilt wird. Zur digitalen Ausgabe geht es hier.