Cyberhelden der Kreisklasse

Fußball-Projekt

10. Dezember 2015, 07:50 Uhr

Beim FC Inter Dragon sprechen die User bei der Aufstellung ein gewichtiges Wörtchen mit.

Schleswig. Die »Sportschau« staunt über die »Online-Demokratie im Fußball«, »ZDF« und »taz« nennen es das »Fleisch gewordene Managerspiel«. Nun berichtet auch die »Bild« über ein außergewöhnliches Projekt, das sich im hohen Norden anschickt, eine Fußballrevolution einzuleiten - wenn man dem euphorischen Medienecho Glauben schenken mag.
Der FC Inter Dragon ist auf den ersten Blick ein unscheinbarer Amateurklub. In Schleswig beheimatet, kickt der Verein in der Kreisklasse A Schleswig-Flensburg und muss sich, wie die Konkurrenz, derzeit mit Spielabsagen plagen. Doch etwas ist anders. Vier Kameras fangen das Geschehen bei den Auftritten der »Dragons« ein. Knapp 5000 Facebook-Likes sind Regionalliga-Niveau. Die Homepage-Zugriffszahlen: Schwindelerregend.

Aus Altmühl wird Inter

Ein Blick zurück: Jahreswechsel 2014/15. Der FC Altmühl 09 befindet sich am Scheideweg. Personell durch berufliche Abwanderung aus der Region gebeutelt, steht der Verein aus der Gemeinde Selk vor einer existenziellen Krise und zieht die Reißleine: Rückzug aus der Kreisklasse A. Doch wird der FC Altmühl nicht aufgelöst, sondern auf den Namen FC Inter Dragon umgeschrieben.
André Bistram ist der geistige Vater der Idee, Inter Dragon sein »Baby« - das dank der Umschreibung den Kinderschuhen praktisch mit der Geburt entwachsen ist und sich den beschwerlichen Anfang in der Kreisklasse C ersparte. Nun will der Vorsitzende mit seinem Klub durchstarten: »Ich bin mir sicher, dass wir mit unserer Mannschaft aufsteigen können und werden.«
Das Konzept: Eine Internet-Community entscheidet über die Aufstellung, darf das Spielsystem mitbestimmen und Schützen festlegen. Irgendwo zwischen »FIFA« und »Comunio« anzusiedeln, besteht der Reiz darin, keine fiktive Computerspielfiguren aus Polygonen zu dirigieren, sondern eine reale Mannschaft auf den Platz zu schicken und Erfolg oder Misserfolg live via Streaming zu verfolgen. »Fantasy Football« war gestern.

Der Klub für alle Bundestrainer

»Bei einer WM gibt es 82 Millionen Bundestrainer und jeder weiß es besser. Hier können die User es beweisen«, so Bistram, der zuletzt bei Schleswig 06 als Trainer fungiert hatte. Und es werden immer mehr: »Es sind schon ein paar tausend Mitspieler. Nach den Berichten der letzten Tage melden sich teilweise stündlich 50-60 neue User an.«
Derzeit läuft noch die kostenlose Testphase, mittelfristig soll ein monatlicher Abo-Preis von 99 Cent erhoben werden. »Wir sprechen hier von jährlichen Kosten in Höhe eines einzigen Kinobesuchs - da ist die Cola und das Popcorn noch nicht dabei. Das ist eher als Schutzgebühr zu betrachten, damit kein Unsinn gemacht wird«, erklärt Bistram, der nach den ersten Monaten hochzufrieden ist.
Zwar sorgt das Aufstellungsprinzip hin und wieder für handfeste Überraschungen wie im September, als sich Patryk Smolarek gegen den FC Wiesharde II nur auf der Bank wiederfand. Dabei hatte er im Spiel zuvor mit einem Doppelpack den TSV Lindewitt im Alleingang besiegt. Doch mittlerweile trägt das taktische Geschick der Schwarmintelligenz Früchte: Nach 14 Partien steht die Elf von Trainer Nils Langwadt auf Rang fünf.

Umzug nach Flensburg ein Thema?

Torwart Sascha Braun bei einer Parade. (Foto: Richard C. Wolf)

Zwar wolle man »vernünftig und ruhig wachsen«, aber die Pläne sind groß - sehr groß. »Der FC Ingolstadt hat sich innerhalb von zehn Jahren von ganz unten in die Bundesliga vorgearbeitet - warum soll das mit der Kraft der User nicht auch möglich sein?«, träumt Bistram, einst selbst Bundesligaprofi bei Schalke 04, vom großen Coup.
Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Die Realität heißt Kreisklasse, doch im Hintergrund laufen bereits die Planungen. Transfers werden vorbereitet, ein dänischer Spieler soll den Usern vielleicht auch bald vorgestellt werden. Die Grenzregion ist auch für den größer werdenden Sponsorenpool interessant - ein Umzug nach Flensburg für die Zukunft nicht ausgeschlossen. Bistram: »Wir sind mit niemandem verheiratet.«
Zunächst aber geht es am Sonnaben (13.30 Uhr) im heimischen Alleestadion gegen den Lokalrivalen Slesvig IF. Sollte der Wettergott mitspielen und das Spiel stattfinden könnte am Sonnabend die Premiere für den Livestream anstehen. »Der Gabentisch ist gedeckt. Wir stehen mit der Technik in den Startlöchern«, so Bistram. »Wir würden uns freuen, wenn es endlich losgeht.«

Fakten zum FC Inter Dragon

• Kreisklasse A Schleswig-Flensburg
• 14 Spiele, 5. Platz, 28 Punkte
• Internet: fcinterdragon.com
• Kader: 

Tor: Bjarne Horn, Sascha Braun.
Abwehr: Thore Roßbach, Rafal Gertig, Felix Bremer, Dominic Schamp, Maciej Kwasniak.
Mittelfeld: Andreas Henke, Christian Rieckhoff, Ahmed Ikirrou, Benjamin Malzan, Mohamad Al-Batal, Kasra Hooman, Daniel Schubert, Piotr Stragowski, Kamil Sabillo.
Sturm: Patryk Smolarek, Dennis Menzel, Robert Nadrau.
Trainer: Nils Langwadt.
Co-Trainer: Christian Raun


Von Marco Nehmer