Nach EM-Blamage am Scheideweg

DHB-Auswahl

Thomas Bleicher
25. Januar 2018, 22:50 Uhr

In der Kritik: Bundestrainer Christian Prokop. (Archivfoto: dpa)

Varazdin. Schwer gezeichnet vom blamablen EM-Aus traten Deutschlands Handballer um den angezählten Bundestrainer nach einer kurzen Nacht die vorzeitige Heimreise an. 

Zwar hält der Deutsche Handballbund (DHB) trotz des sportlichen Debakels in Kroatien vorerst an Coach Christian Prokop fest, doch auf dem Weg zur Heim-WM 2019 muss und will der Verband in den kommenden Wochen alle Personalien hinterfragen. »Der Trainer steht für mich nicht zur Disposition«, sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning am Donnerstagmorgen vor der Abreise aus dem Teamhotel in Sveti Martin. »Das Ziel ist es, mit ihm weiterzumachen.« 
 In den kommenden vier bis sechs Wochen wird der DHB die verkorkste Europameisterschaft, die nach dem enttäuschenden neunten Platz nach dem Achtelfinal-Aus bei der WM zum zweiten sportlichen Reinfall innerhalb von zwölf Monaten wurde, intensiv aufarbeiten - Ausgang offen.

Ehrlich und hart

 »Im Vorjahr haben wir auf eine Analyse verzichtet, weil es danach einen Umbruch gab. Dieses Mal werden wir das sehr ehrlich und hart mit uns ausmachen müssen, mit den Trainern, dem Präsidium und der Mannschaft«, kündigte Hanning an und stellte klar: »Es gibt eine unverhandelbare Vision: Wir wollen eine WM-Medaille und Olympia-Gold. Das werden wir ab heute angehen.« 
Prokop, der einen langfristigen Vertrag bis 2022 besitzt, schließt einen freiwilligen Rückzug aus. »Ich mache mir überhaupt keine Gedanken über einen Rücktritt, weil auch ich Großes vorhabe«, betonte der 39-Jährige. Dafür will er künftig keine Kompromisse eingehen - wenn man ihn lässt. »Ich habe eine klare Vorstellung von einer Spielphilosophie. Ich möchte eine Mannschaft sehen, die mit viel Tempo spielt und nicht ausrechenbar ist«, formulierte er den Anspruch. 
Dem wurde die DHB-Auswahl bei der EM nie gerecht. Der entthronte Europameister war nur ein Schatten der Glanztage von Polen, wo sich die Mannschaft vor zwei Jahren als unerschütterliche Einheit präsentiert und mit ihrem frischen und unbekümmerten Auftritt einen neuen Handball-Boom ausgelöst hatte. Nun droht ein Rückfall in alte Zeiten. Nach dem desaströsen Auftritt beim 27:31 gegen Spanien, den fast sechs Millionen TV-Zuschauer in der Heimat mitverfolgten, saßen die Spieler am Mittwochabend noch bei einem Frustbier zusammen. »Wir haben darüber gesprochen. Es gab aber keine Beschlüsse oder Entscheidungen«, berichtete Kapitän Uwe Gensheimer und betonte: »Ich glaube nicht, dass wir als Mannschaft jetzt zusammenbrechen.« 
Die Frage lautet: Auf welche Spieler setzt Prokop künftig, sollte der Verband auch nach der eingehenden Analyse an ihm festhalten. Denn atmosphärische Störungen zwischen dem Trainer und dem Team waren in den Tagen von Kroatien nicht zu übersehen - auch wenn dies öffentlich niemand zugeben wollte. Doch es gab hitzige Diskussionen, Indiskretionen und eine latente Unzufriedenheit. »Das, was hier passiert ist oder nicht passiert ist, werden wir auswerten und dann mehr dazu sagen«, kündigte DHB-Präsident Andreas Michelmann vielsagend an.
Auch Prokop ließ erkennen, dass er auf einige Dinge nicht vorbereitet war. »Ich habe hier viele negative Erfahrungen gemacht«, räumte er ein. Von einem Zerwürfnis mit der Mannschaft wollte er aber nichts wissen: »Die Chemie war nicht so, wie es desöfteren nach Außen dargestellt wurde. Wir hatten ein stimmiges Verhältnis.« 
 Eric Dobias und Nils Bastek, dpa